Manche Lehrerinnen in der Grundschule kommen sehr schnell zur einem Urteil: Das Kind hat eine Lese-Rechtschreib-Schwäche. Sätze wie “Das mit dem Schreiben muss aber noch besser werden” oder “Das Kind liest nicht gut genug” haben wohl schon viele Eltern stark verunsichert.
Häufig wird dann versucht, durch immer mehr Üben, das empfundenen Defizit auszugleichen. Es wird ein enormer Druck aufgebaut, dennoch (vielmehr: deshalb) sind alle Bemühungen von wenig Erfolg gekrönt. Lesen und Schreiben werden einfach nicht besser. Dafür kommen eher noch weitere Schwierigkeiten hinzu.
Definition der Lese-Rechtschreib-Schwäche
Die Lese-Rechtschreib-Schwäche oder Lese-Rechtschreib-Störung (LRS), wie sie korrekt heißt, ist eine spezifische Lernstörung, die sich in einer Unter- oder Fehlleistung beim Erwerb der Schriftsprache zeigt. Die Leistungen in Rechtschreibung und Lesefluss sind dabei deutlich schlechter als die in anderen Bereichen, wie zum Beispiel dem Sprachverständnis oder der Mathematik. Die Lese-Rechtschreib-Störung ist eine der häufigsten Lernstörungen überhaupt und betrifft etwa 5-7% aller Schulkinder.
Für viele Menschen haben die Begriffe Legasthenie, Lese-Rechtschreib-Schwäche, Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten, Lese-Rechtschreib-Störung oder kurz LRS die gleiche Bedeutung. Sie werden selbst in der Literatur häufig auch synonym verwendet. Korrekterweise ist der Begriff Lese-Rechtschreib-Schwäche jedoch den weniger schwerwiegenden und oft vorübergehenden Schwierigkeiten vorbehalten.
Die Legasthenie fällt wie die Dyskalkulie unter die Teilleistungstörungen und bezieht sich explizit auf Defizite im Bereich der schulischen Fertigkeiten. Die Eltern betroffene Kinder können in den meisten Schulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit guten Erfolgsaussichten einen Antrag auf Nachteilsausgleich und Notenschutz stellen.
Definition nach ICD-10
Nach dem internationalen Klassifikationssystem für Krankheiten (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation wird eine Lese-Rechtschreib-Störung eingeordnet unter den „umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten“ und wie folgt definiert: “Das Hauptmerkmal ist eine umschriebene und bedeutsame Beeinträchtigung in der Entwicklung der Lesefertigkeiten, die nicht allein durch das Entwicklungsalter, Visusprobleme oder unangemessene Beschulung erklärbar ist.
Das Leseverständnis, die Fähigkeit, gelesene Worte wieder zu erkennen, vorzulesen und Leistungen, für welche Lesefähigkeit nötig ist, können sämtlich betroffen sein. Bei umschriebenen Lesestörungen sind Rechtschreibstörungen häufig und persistieren oft bis in die Adoleszenz, auch wenn einige Fortschritte im Lesen gemacht werden.
Umschriebenen Entwicklungsstörungen des Lesens gehen Entwicklungsstörungen des Sprechens oder der Sprache voraus. Während der Schulzeit sind begleitende Störungen im emotionalen und Verhaltensbereich häufig.”
Die Lese-Rechtschreib-Störung in der Forschung
Die Ursachen einer Legasthenie sind bis heute nicht vollständig geklärt, vermutlich spielen aber sowohl erbliche Faktoren als auch Umwelteinflüsse eine Rolle. Betroffene haben Schwierigkeiten, die Buchstaben richtig zu erkennen und zu benennen. Sie können deshalb Wörter oft nicht richtig lesen und schreiben. Die Lese-Rechtschreib-Schwäche ist keine Erziehungsschwäche und hat auch nichts mit mangelnder Intelligenz zu tun. Betroffene Kinder sind oft sehr wissbegierig und lernen auch andere Dinge schnell und gut.
Wie bei Kindern mit Dyskalkulie, können auch bei Legasthenikern Abweichungen der Aktivierungsmuster in der Großhirnrinde gefunden werden; hier jedoch nicht bei Rechenvorgängen sondern beim Lesevorgang. Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren zeigen, dass die beteiligten Gehirnbereiche nicht synchron arbeiten oder zu schwach vernetzt sind. Zudem scheinen Probleme bei der Verarbeitung von Wahrnehmungseindrücken über Hören und Sehen zu einer Legasthenie beisteuern.
Eine Lese-Rechtschreib-Störung tritt meistens im Grundschulalter auf, kann aber auch im Vorschulalter oder während der Pubertät beginnen. Bei Jungen ist sie drei- bis viermal so häufig wie bei Mädchen. Die LRS ist keine Krankheit und kann nicht “geheilt” werden. Betroffene lernen jedoch mit der Zeit, die Schwierigkeiten zu bewältigen.
Begünstigende Faktoren
Was für so ziemlich alle Lernprobleme gilt, trifft auch für die Lese-Rechtschreib-Störung zu: Es kann kaum jemals eine einzelne Ursache für die Entstehung der Schwierigkeiten verantwortlich gemacht werden. Die Ursachen sind immer vielschichtig und der Entstehungsweg komplex. In aller Regel wirken mehrere Faktoren zusammen, von denen ein Teil sich unserer Einflussnahme entzieht, während andere Faktoren durchaus veränderbar sind.
Eine erbliche Komponente der Legasthenie kann als sicher angenommen werden, da sie in manchen Familien und insbesondere bei eineiigen Zwillingen gehäuft auftritt. Das sagt jedoch noch nichts über den tatsächlichen Einfluss dieses Faktors aus. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass soziale Faktoren einen weitaus wichtigeren und größeren Einfluss auf die Entstehung einer Lese-Rechtschreibstörung haben.
So ist beispielsweise bekannt, dass das familiäre und schulische Umfeld einen wichtigen Einfluss, nicht nur auf die Entstehung, sondern auch auf den Verlauf einer LRS haben. Abhängig von der Leselernmethode in der Grundschule, ist der Anteil an Kindern mit Lese-Rechtschreib-Schwäche sehr unterschiedlich hoch. Wenig Unterstützung aus dem Elternhaus, fehlende Vorbilder und hoher Fernsehkonsum sind mit einem erhöhten Risiko für eine Lese-Rechtschreib-Störung assoziiert. Hier liegt das Potenzial für erfolgreiche Prävention, schon bevor schwerwiegenden Probleme auftreten
Erste Anzeichen einer LRS
Wörter buchstabieren und lesen können – für die meisten Kinder ist das selbstverständlich. Bei einigen Kindern jedoch gestaltet sich das Erlernen der Schriftsprache als besondere Herausforderung. Wenn Betroffene trotz regelmäßiger Lesepraxis und entsprechender Übungsschritte weiterhin Probleme beim Lesen- und Schreibenlernen aufweisen, spricht man von einer sogenannten Lese-Rechtschreib-Störung (LRS).
Kinder mit LRS zeigen häufig Schwierigkeiten beim Erkennen und Benennen einzelner Buchstaben. Auch das Abfolgen von Buchstaben zu Wörtern fällt ihnen oft schwer. Bei der Rechtschreibung treten häufig Fehler auf, etwa bei der Schreibweise einfacher Wörter wie „Haus“ oder „Maus“. Auch falsche Groß- und Kleinschreibung sowie fehlende Satzzeichen sind typische Anzeichen einer LRS. Viele Kinder mit Lese-Rechtschreib-Störung haben zudem Probleme beim Lesen selbst. Oft fällt es ihnen schwer, den Sinn eines Textes zu erfassen und Wörter richtig zu verstehen.
Die Anzeichen einer Legasthenie können von Person zu Person variieren. Einige Menschen mit Legasthenie haben Schwierigkeiten, die richtige Reihenfolge der Buchstaben in Wörtern herauszufinden. Sie können auch Schwierigkeiten haben, Wörter auszusprechen. Manche Menschen mit Legasthenie sehen Wörter falsch oder auf dem Kopf. Menschen mit Legasthenie können z.B auch Probleme haben mit dem Zahlenlesen, ohne dass deshalb ein Störung im Bereich der Rechenfähigkeiten vorliegt.
Sonderformen der LRS
Lese-Rechtschreib-Störung ist eine Schwierigkeit, die entweder das Lesen, das Schreiben oder beides beeinträchtigt. Die Störung kann so schwer sein, dass eine Person Mühe hat, einen einfachen Satz zu lesen oder zu verstehen. Oder sie kann nur dazu führen, dass jemand Schwierigkeiten hat, bestimmte Wörter zu schreiben oder auszusprechen. Die meisten Betroffenen haben sowohl eine Lese- als auch eine Rechtschreib-Störung. Es gibt aber auch Legastheniker, die nur eine der beiden Störungen aufweisen.
Eine isolierten Rechtschreibstörung zeigt sich anhand von Schwierigkeiten beim Buchstabieren sowie der korrekten Wortschreibung. Die Betroffenen schreiben Wörter oftmals so, wie sie sie hören, und das auch über die ersten Schuljahre hinaus. Schwierigkeiten beim Lesen haben diese Personen nicht.
Bei einem Teil der Betroffenen treten isolierte Lesestörungen auf, ohne dass massive Probleme mit der Rechtschreibung vorhanden sind. Diese Kinder brauchen oft viel Zeit für den Lesebeginn und lesen meist sehr langsam, ohne richtig zu verstehen, was sie gerade gelesen haben.
Vor- und Nachteile einer LRS-Diagnose
Eine Lese-Rechtschreib-Störung kann eine Person daran hindern, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Die Störung kann es einer Person erschweren, in der Schule zu lernen und gute Noten zu bekommen. Was als isolierte Herausforderung in einem kleinen Bereich beginnt, kann allzu schnell Auswirkungen auf das gesamte Leben haben. Die betroffenen Kinder halten sich unter Umständen für dumm, verlieren Vertrauen in ihre Fähigkeiten und entwicklen in manchen Fällen sogar eine ausgeprägte Schulangst.
Hier kann die Diagnose einer LRS für Kind und Eltern eine große Erleichterung darstellen. Mit der Diagnose gibt eine definierte Ursache für die Schwierigkeiten und größere Klarheit für den weiteren Weg. Zudem ist die Diagnose durch einen Experten Voraussetzung, um einen Nachteilsausgleich und Notenschutz in de Schule zu beantragen.
Die Diagnose einer LRS kann also helfen, Druck und psychosoziale Probleme zu reduzieren. Das muss aber nicht für jedes Kind gelten. Unter Umständen fühlt sich ein Kind durch die Diagnose erst recht stigmatisiert und ausgeschlossen. Hier sollte der Wunsch des Kindes unbedingt respektiert werden, denn Möglichkeiten einer effektiven Förderung und Unterstützung gibt es auch ohne Diagnose in ausreichendem Maße.
LRS in der Grundschule
Die Lese-Rechtschreib-Störung manifestiert sich meist in der Schule, weil die betroffenen Kinder Mühe haben, bestimmte Regeln der Orthographie (Rechtschreibung) und Grammatik zu erlernen und anzuwenden. Sie kann zu einer sehr großen Herausforderung werden. Viele betroffene Kinder haben Probleme, den Unterricht mitzuverfolgen und die Schulaufgaben zu lösen. Die Folge sind oft schlechte Noten, Frustration oder Mitschüler, die das Kind auslachen.
Lese-Rechtschreib-Störungen können sich jedoch sehr unterschiedlich stark äußern. Bei einigen Kindern sind die Schwierigkeiten nur gering ausgeprägt, während andere Kinder stark betroffen sind. In Deutschland wird von einer LRS gesprochen, wenn mindestens zwei der folgenden Kriterien zutreffen:
- Das Lesen geht langsamer und fehleranfälliger vonstatten als bei Gleichaltrigen.
- Die Laut-Buchstaben-Zuordnung (Phonologie) ist gestört.
- Das Wörter erkennen und verstehen funktioniert nicht richtig.
- Die Rechtschreibung ist stark fehlerbehaftet.
Betroffene Kinder können sich aber durchaus erfolgreich in der Schule behaupten. Mit der richtigen Unterstützung und Förderung können sie die Lese-Rechtschreib-Störung gut bewältigen.
LRS in der weiterführenden Schule
Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten können entsprechend ihrer sonstigen Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft nach der Grundschule auf alle vorhanden Schultypen wechseln. Auch ein vorhandener Nachteilsausgleich darf hier geltend gemacht werden. Es muss jedoch damit gerechnet werden, dass vor allem das sinnerfassende Lesen in allen Fächern immer wichtiger wird, weshalb eine adäquate Förderung weiterhin sinnvoll bleibt.
Wenn ein Kind schon in der Grundschule größere emotionale oder soziale Probleme aufweist, ist nicht damit zu rechnen, dass diese mit höherem Alter einfach verschwinden. Allein die vorhandene Lese-Rechtschreib-Störung kann eine ausreichende Erklärung für diese Auffälligkeiten sein. Es lohnt sich also auch jetzt noch eine Förderung zu beginnen. Nicht nur für den schulischen Erfolg, sondern auch für das Wohlergehen des Kindes.
LRS bei Erwachsenen
Die Lese-Rechtschreib-Schwäche kann zu einem lebenslangen Problem werden, wenn sie nicht erkannt und behandelt wird. Viele Betroffene haben auch im Erwachsenenalter noch Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben. Ohne die notwendige Unterstützung können sie deshalb Probleme bekommen, zum Beispiel bei der Suche nach einem geeigneten Beruf oder bei der Bewältigung von Behördengängen.
Ein möglicher Nachteilsausgleich ist nicht auf SchülerInnen beschränkt, sondern kann unter Umständen auch von Auszubildenden und Studierenden in Anspruch genommen werden. Ebenso können Lese- und Rechtschreibung-Fähigkeiten auch noch im Erwachsenenalter verbessert werden. Es gibt Therapeuten, die sich sogar auf Erwachsenen spezialisiert haben.
Der Nutzen einer Lerntherapie
Die Behandlung der LRS hat immer das Ziel, die Lesefähigkeit und die Rechtschreibfähigkeit des Kindes zu verbessern, seine Selbständigkeit in der Schule und im Alltag zu fördern und Folgeprobleme zu verhindern. Eine Lese-Rechtschreib-Störung kann mit verschiedenen Methoden behandelt werden. Die Therapie folgt auf die Diagnostik, ist meist langwierig und wird individuell auf das jeweilige Kind abgestimmt.
Ein guter LRS-Therapeut wird nie nur die Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben betrachten, sondern eine Blick auf die Lebenssituation des Kindes haben. In den meisten Fällen gehören neben rein inhaltlichen Aufgaben auch Übungen zur Konzentrations- und Aufmerksamkeitssteigerung dazu. Ein Förderprogramm kann aber auch Zuhause durch die Eltern mit Erfolg durchgeführt werden. Unterstützungsangebote in guter Qualität gibt es hierfür in ausreichender Zahl – auch ohne Diagnose.
Was kann man sonst tun bei LRS?
Lesen und Schreiben sind essenzielle Fähigkeiten in unserer Gesellschaft. Dennoch gibt es keinen Grund zur Panik, wenn ein Kind am Ende der zweiten Klasse noch nicht flüssig lesen oder richtig schreiben kann. Als Vater oder Mutter solltest du Geduld haben mit deinem Kind und genau hinsehen. Bei weitem nicht jede Verzögerung beim Lesen und Schreiben lernen ist eine Legasthenie. Manche Kinder benötigen einfach mehr Zeit oder interessieren sich erst später für diese Thema.
Was auf keine Fall hilfreich ist, egal ob es sich um eine leichte Lese-Rechtschreib-Schwäche oder eine ausgeprägte Störung handelt, ist der Aufbau von Druck. Unter Zwang oder gar der Androhung von Strafe lernt niemand besonders gut. Auch Belohnungen sind wenig sinnvoll. Besser ist es, wenn das Kind Anerkennung für sein Bemühungen bekommt. Jedes Kind will schließlich lernen, wenn auch nicht unbedingt auf die Art, die von ihm gefordert wird.
Eltern sind die wichtigsten Bezugspersonen für ihre Kinder, deshalb sollte absolut keine schulische Herausforderung zu einem Bruch des Vertrauensverhältnissen führen. Wenn du dein Kind effektiv und gleichzeitig wertschätzend fördern willst, solltest du im engen Kontakt mir ihm stehen und ihm Strategien und Lernmethoden an die Hand geben, die für euch funktionieren. Sehr gern kannst du dich dabei durch die Holistische Lernwerkstatt im Rahmen der Elterncoachings begleiten lassen.
Fazit
Eine Lese-Rechtschreib-Schwäche kann zu vielen unterschiedlichen Probleme in der Schule und im gesamten Leben führen. Häufig treten in der Folge emotionale und sozialen Schwierigkeiten auf. Deshalb sind Eltern gut beraten, hier frühzeitig etwas zu unternehmen und dem Kind angemessenen Förderung zukommen zu lassen. Eine medizinisch-psychologische Diagnostik und Therapie können hierbei hilfreich sein, sind aber nicht zwingend erforderlich. In vielen Fälle können die Eltern selbst eine absolut adäquate Förderung bieten. Hilfestellungen gibt es hierfür genügend.