Wenn die Grundschulzeit zu Ende geht, steht der Übertritt auf eine weiterführende Schule an. Schon innerhalb Deutschlands ist das Verfahren höchst variabel, so dass ich hier an dieser Stelle keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben möchte und den Fokus stattdessen auf Bayern lege, einfach weil ich in diesem Bundesland zuhause bin.
Wann ist der Übertritt
In den meisten deutschen Bundesländern steht der Übertritt nach der vierten Klasse an. In Berlin und Brandenburg, ebenso wie in der Schweiz, geht die Grundschule jedoch bis zur sechsten Klasse. Und manche Schularten verzichten gänzlich auf eine Übertritt, wie Montessori- oder Waldorfschulen im privaten Sektor, oder auch einige staatliche Gemeinschaftsschulen, die es jedoch nicht in jedem Bundesland gibt.
Welche Schularten gibt es
Bayern ist das einzige deutsche Bundesland, in dem es auch weiterhin ausschließlich das dreigliedrige Schulsystem aus Mittelschule (früher Hauptschule), Realschule und Gymnasium gibt. Das bedeutet, dass sich jedes Kind in der vierten Klasse für eine dieser Schularten entscheiden bzw. auf Grundlage der Lehrerempfehlung eine Schule auswählen muss.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein
Anders als in anderen Bundesländern, wo die Eltern über die weitere Schullaufbahn ihrer Kinder selbst entscheiden, gibt es in Bayern eine “verbindliche Lehrerempfehlung”, die anhand der Noten der Fächern Deutsch, Mathe und Sachunterricht in der vierten Klasse erstellt wird. Wer den erforderlichen Notendurchschnitt für eine bestimmte Schulart nicht erreicht, kann seine Zugangsberechtigung auch über den sogenannten Probeunterricht erlangen.
Das Übertrittszeugnis
In der vierten Klasse in Bayern gibt es Anfang Mai das Übertrittszeugnis, mit dem man sich an den weiterführenden Schulen anmelden muss. Ein reguläres Zwischenzeugnis zum Halbjahr gibt es nicht und ein Jahreszeugnis gibt es zwar, dieses ist allerdings für den Übertritt nicht relevant
Welche Fächer sind relevant
Anders als beispielsweise in Berlin, wo alle Fächer zur Berechnung des Notendurchschnitts ausgewiesen werden, werden im bayerischen Übertrittszeugnis nur die Noten aus den drei Hauptfächern Deutsch, Mathe und Sachunterricht berücksichtigt, wobei jedes Fach das gleiche Gewicht hat.
Wie wird der Notendurchschnitt berechnet
Der für den Übertritt relevante Notendurchschnitt wird ausschließlich aus den genannten drei Fächern berechnet, indem die Gesamtnoten aus den Fächern Deutsch, Mathe und Sachunterricht addiert und anschließend durch drei geteilt werden. Andere Fächer, wie Kunst oder Musik, werden in der vierten Klasse ebenfalls unterrichtet und benotet, fließen jedoch nicht in die Bewertung ein.
Was sind die Mindestanforderungen
Der erforderliche Notendurchschnitt für eine Gymnasialempfehlung ist 2,33. Dieser wir z.B. durch die Noten 2, 2 und 3 erreicht. Aber auch eine 4 in einem der Fächer ist möglich, wenn in den anderen beiden Fächer mindestens die Noten 1 und 2 erzielt wurden. Für eine Realschulempfehlung ist ein Notendurchschnitt von 2,66 erforderlich.
Die Anmeldung an der weiterführende Schule
Wer die jeweiligen Zugangsvoraussetzungen erfüllt, kann von den Erziehungsberechtigten an der Schule der Wahl angemeldet werden. Auf dem Land kann man davon ausgehen, dass man in aller Regel auch einen Platz dort bekommen wird. In den Städten sind jedoch nicht an allen Schulen ausreichend Plätze für alle Bewerber:innen vorhanden, so dass man unter Umständen an eine andere Schule der gleichen Schulart ausweichen muss.
Wann ist die Anmeldung
Die Anmeldung für die weiterführenden Schulen finden ebenfalls im Mai, kurz nach der Ausgabe der Übertrittszeugnisse statt. Es empfiehlt sich von daher, bereits vorher Überlegungen zur Schulwahl anzustellen. Die meisten Schulen bieten in den Monaten vorher Informationsveranstaltungen und Tage der offenen Tür an, wo man sich einen Eindruck verschaffen kann. Zunehmend mehr Schulen unterhalten auch eine informative Webseite.
Was brauche ich für die Anmeldung
Grundsätzlich braucht man für die Anmeldung an der weiterführenden Schule das Übertrittszeugnis, das bei der Schule verbleibt und eine Geburtsurkunde zur Vorlage. Welche weiteren Unterlagen erforderlich oder gewünscht sind, kann man den Webseiten der Schulen entnehmen oder im Zweifelsfall auch direkt erfragen.
Wie läuft die Anmeldung ab
Die Anmeldung selbst ist eher unspektakulär, denn mit der Gymnasialempfehlung im Übertrittszeugnis hat ein Kind das Recht erlangt im folgenden Schuljahr ein bayerisches Gymnasium zu besuchen. Ein weiteres Auswahlverfahren oder eine besondere Bewerbung braucht es deshalb nicht. In ganz ähnliche Form gilt das auch für Realschulen in Bayern. Kinder die den Probeunterricht besuchen sollen, werden ebenfalls an der Schule ihre Wahl angemeldet. Hier erfolgt eine Aufnahme jedoch nur bei bestandenem Probeunterricht.
Die Wahl der richtigen Schule
Eine wichtige Frage, die sich zumindest im urbanen Raum stellt, ist die nach der richtigen Schule. Nicht zu weit weg vom Wohnort sollte sie sein. Wenn einige der Freunde ebenfalls dorthin wechseln, wäre toll. Lass dich von diesen vordergründigen Argumente aber nicht vorschnell überzeugen. Wenn ihr verschiedenen Schulen in der Nähe habt, sieh dir diese Schulen auch hinsichtlich Konzept und zusätzlichen Angeboten an. Denn langfristig wohlfühlen wird sich ein Kind nur, wenn die Schule seinen Bedürfnissen entspricht.
Der Probeunterricht
Wenn ein Kind der erforderlichen Notendurchschnitt nicht erreicht hat, aber dennoch nach der 4. Klasse aufs Gymnasium oder die Realschule gehen möchte oder soll, dann führt in Bayern der einzige Weg über den Probeunterricht. Dieser findet in aller Regel an drei Tagen im Mai statt. Einen Ausweichtermin gibt es außerdem noch im September, so dass es möglich ist, sowohl den Probeunterricht an einem Gymnasium als auch (im Falle des Nicht-Bestehens) an einer Realschule mitzumachen
Was ist der Probeunterricht
Beim Probeunterricht handelt es sich nicht um Unterricht im eigentlichen Sinne, sondern um eine Aufnahmeprüfung. Der Probeunterricht findet in der Schule statt, für die das Kind angemeldet werden soll. Er besteht aus mehreren schriftlichen und mündlichen Prüfungen in den Fächern Mathematik und Deutsch und soll die Eignung des Kindes für die gewünschte Schulart überprüfen.
Für wen ist der Probeunterricht relevant
Ein Kind, dass trotz fehlende Lehrerempfehlung aufs Gymnasium oder die Realschule wechseln möchte, muss in Bayern zum Probeunterricht antreten. Wenn es in den beiden Fächern insgesamt mindestens die Noten 3 und 4 erzielt, bekommt es die Übertrittsgenehmigung unabhängig vom Zeugnisschnitt. Auch wenn es zweimal eine 4 erzielt, können die Eltern für den Übertritt entscheiden.
Für Kinder von privaten, staatlich genehmigten (nicht staatlich anerkannten) Grundschulen, führt der Weg an ein öffentliches Gymnasium oder eine öffentliche Realschule ausschließlich über den Probeunterricht. Die Bestehenskriterien unterscheiden sich nicht von denen für Kinder von öffentlichen Grundschulen.
Wie kann man sich auf den Probeunterricht vorbereiten
Entgegen der Behauptungen vieler Grundschullehrer*innen kann und sollte man sein Kind auf den Probeunterricht vorbereiten. Die Aufgaben der letzten Jahre sind frei verfügbar und ähneln sich sehr. Fast noch wichtiger als eine solide inhaltliche Vorbereitung ist es aber, dem Kind die Angst vor der Prüfung zu nehmen. Gib ihm Selbstvertrauen und vermeide es zusätzlichen Druck aufzubauen!
Den Übertritt sinnvoll planen
Wenn die Entscheidung für eine bestimmte Schulart und eine konkrete Schule gefallen ist, lässt der Druck erstmal nach. Der eigentliche Übertritt, also der Wechsel an die neue Schule, steht jedoch noch bevor. Dieser kann durchaus ganz eigene Tücken bereit halten, die sich jedoch meist durch frühzeitige Planung ganz gut umschiffen lassen.
Die Rolle der Eltern
Der Übertritt ist ein unglaublich wichtiger Schritt im Leben eines Kindes. Aber nicht für jedes Kind ist das ein einfacher Schritt. Während die Einschulung von nahezu allen Eltern sehr aufmerksam und feinfühlig begleitet wird, werden viele Kinder beim Übertritt weitgehend allein gelassen und von den Schulen oft auch nicht ausreichend aufgefangen. In dieser Phase ist es jedoch besonders wichtig, dass du dein Kind unterstützt und ihm zur Seite stehst.
Druck vermeiden
Der Druck, der auf den weiterführenden Schulen auf den Kindern lastet, wird von vielen schon als sehr belastend empfunden. Als Eltern solltest du deshalb dafür Sorge tragen, diesen Druck nicht zu erhöhen, sondern abzufangen. Wichtig ist, dass dein Kind zuhause gestärkt wird und sich geschützt fühlt. Ermutige dein Kind und gibt ihm das Gefühl, dass es diese Herausforderung meistern kann. Eine positive Einstellung kann viel bewirken und dein Kind dabei unterstützen, selbstsicherer in die neuen Aufgaben zu starten.
Unterstützen statt Überwachen
Die weiterführenden Schulen stellen deutlich höherer Herausforderungen an Selbststeuerung und Organisationsfähigkeit. Auch die Menge an Hausaufgaben nimmt oft drastisch zu, so dass gerade auch solche Kinder Schwierigkeiten bekommen, die ohne größeren Aufwand durch die Grundschule gelaufen sind. Eine gute Balance zwischen Hilfestellung und Freiheit bei der Erledigung der Hausaufgaben kann helfen, das Selbstbewusstsein deines Kindes zu stärken und ihm dabei helfen, sich besser zu entwickeln.
Erholung und Freizeit
Schule ist wichtig, aber eben auch nur ein Aspekt des Lebens. Auch beginnt das Leben nicht erst nach der Schule, sondern findet jeden Tag in jedem Alter statt. Um leistungsfähig und gesund sein zu können, braucht dein Kind also nicht nur die Aussicht auf ein gutes Leben irgendwann, sondern braucht dieses gute Leben auch bereits jetzt. Freunde, Hobbys und selbstgewählte Freizeitaktivitäten machen da Kind nicht nur glücklich, sonder sorgen auch für positive Erlebnis und gesunden Ausgleich. Räume ihnen den nötige Stellenwert ein.
Fazit
Der Übertritt stellt eine organisatorische Herausforderung dar, sowohl im Vorfeld als auch direkt durch den Schulwechsel. Für viele Kinder weitaus bedeutsamer ist jedoch die soziale und emotionale Belastung, die damit einhergeht. Nicht jedes Kind kommt damit auf Anhieb gut zurecht.
Wie schnell sich ein Kind im neuen Umfeld der weiterführenden Schule zurechtfindet ist unabhängig von Intellekt oder Leistungsfähigkeit. Als Eltern kannst du hierbei gut unterstützen, wenn du selbst gut vorbereitet bist und eine realistische Vorstellung entwickeln konntest, was euch womöglich erwartet.
Fit für den Übertritt
Um euch als Eltern bestmöglich zu unterstützen, gibt es auch dieses Jahr wieder unser bewährtes und kostenloses Online-Seminar “Fit für den Übertritt”, dieses Mal am 08. Mai 2024 um 19:00 Uhr. Melde dich am besten gleich an, es wird dieses Jahr nur den einen Termin geben.
Das Webinar findet life per ZOOM-Videokonferenz statt und ist interaktiv angelegt, so dass jede:r die Möglichkeit hat Fragen zu stellen, oder auch spezielle Herausforderungen zu besprechen. Mit der Anmeldung erlaubst du uns, dir Mails zuzusenden, so dass wir dir auch den Link für die Videokonferenz zukommen lassen können.
Exkurs – Kritik am Übertrittsverfahren
Das Übertrittsverfahren in seiner derzeitigen Form ist keinesfalls alternativlos oder unumstritten, da es auf frühe Spezialisierung und Konkurrenz ausgerichtet ist und enormen Stress und Druck auf die Kinder ausübt. Insbesondere Kinder von bildungsfernen Familien oder mit Migrationshintergrund werden dadurch benachteiligt.
Wissenschaftliche Studien bestätigen diese Kritik immer wieder und zeigen, dass die soziale Selektivität in Bayern besonders hoch ist und sogar zunimmt. Das bedeutet, dass Kinder aus sozial schwächeren Familien seltener das Abitur erwerben als Kinder aus sozial stärkeren Familien. Kritiker fordern deshalb eine Reform des Übertrittssystems, um diese soziale Ungleichheit zu reduzieren.
Ein weiteres Problem ist, dass die Bewertung der Kinder überwiegend anhand von standardisierten Tests und Leistungsanforderungen erfolgt, die nicht die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten des Kindes berücksichtigen. Einige Studien zeigen jedoch, dass die Entwicklung von soft skills wie Kreativität, Teamwork und Selbstvertrauen genauso wichtig sind wie intellektuelle Leistungen für den späteren Erfolg im Berufsleben.
Ebenso ist belegt, dass die schulischen Leistungen im Altern von 9 oder 10 Jahren keine Aussagekraft über die tatsächliche Leistungsfähigkeit haben. Kinder unterschieden sich in diesem Alter sehr stark in ihrer körperlichen, geistigen und emotionalen Entwicklungsgeschwindigkeit. So zeigt sich auch, dass die älteren Kinder eines Jahrgangs im Schnitt bessere Noten haben und zu einem höheren Anteil eine Gymnasialempfehlung bekommen.
Zusammenfassend ist das Übertrittsverfahren weit entfernt von kindgerecht oder fair. Für den Moment müssen wir jedoch damit leben, wenn wir ein Kind im entsprechenden Alter haben. Deshalb sollten wir es für unserer Kinder bestmöglich gestalten.





