Titel - Welcher Lerntyp bin ich; Inhalt - Kind mit dicker Brille betrachtet ein Atommodell und schreibt in ein Heft

Welcher Lerntyp bin ich?

Wer den Begriff Lerntyp hört, denkt meist an die Lerntypen nach Vester. Dieses Modell klingt nämlich erstmal sehr plausibel und erfreut sich deshalb auch immer noch großer Popularität. Im Internet kann man auch weiterhin viele Informationen und sogar Typentests zu dieser Einteilung finden. Das ändert aber gar nichts daran, dass diese Lerntypen unwissenschaftlich sind und ins Reich der Mythen gehören.

Die Klassifizierung eines Menschen nach seinem Lerntyp, geht nämlich davon aus, dass jeder Mensch eine bestimmte Ausstattung und bestimmte Eigenschaften mitbringt, die dafür sorgen, dass es für ihn eine spezielle Art effektiven Lernverhaltens gibt. Diese Einteilung folgt einer klassischen Typenlehre, die in der Wissenschaft, insbesondere auch in der Psychologie längst als überholt gilt.

Welche Lerntypen gibt es?

Nach Frederic Vester unterscheidet man vier verschiedenen Lerntypen: optisch-visueller, auditiver, haptisch-kinästhetischer (oder motorischer) und kommunikativ-intellektieller Lerntyp. Wie Verster richtig erkannte, nehmen Menschen ihr Wissen unterschiedlich auf und verarbeiten es ebenfalls auf verschiedene Weise. In seinem 1975 erschienenen Buch Denken, Lernen, Vergessen – Was geht in unserem Kopf vor, wie lernt das Gehirn, und wann läßt es uns im Stich? leitete er daraus seine vier Lerntypen ab.

Drei der Lerntypen unterschieden sich nach präferiertem Sinneskanal über den Informationen aufgenommen werden: Augen, Ohren und Tastsinn bzw. motorisches Lernen. Der vierte Lerntyp wird hingegen ausschließlich nach seinem Verstehensprozess definiert. Er soll am besten lernen im Austausch mit anderen, vor allem in Gesprächen und Diskussionen. Wie aber die Aufnahme der Informationen in erster Instanz vonstatten geht, spielt hier scheinbar keine Rolle.

Den eigenen Lerntyp herausfinden?

Wie oben schon erwähnt, gehören die Lerntypen nach Vester trotz ihrer großen Popularität schlicht ins Reich der Mythen, was keinesfalls der Erkenntnis widerspricht, dass Menschen auf verschiedene Weise Wissen aufnehmen und verarbeiten und somit auch verschiedene Strategien zum Lernen benötigen. Allerdings sind diese Strategien bei niemandem fix oder in allen Lernsituationen identisch. Vielmehr ist es ganz üblich, dass kontextabhängig unterschiedliche Methoden zur Anwendung kommen.

Vor diesem Hintergrund kann es sehr hilfreich sein, einfach doch mal einen Lerntypentest zu machen und dabei an ein ganz konkretes Lernvorhaben zu denken. Das Ergebnis solltest du dann jedoch nicht als Bestätigung eines speziellen Lerntyps sehen, sondern eher als eine Challenge: wenn z.B. das Ergebnis sagt, du seist ein visueller Lerntyp, überlege dir, ob und wie du andere Sinneskanäle einbeziehen kannst. Denn nur, weil du bislang überwiegend Wissen durch Lesen von Büchern oder über das Ansehen von Videos aufnimmst, heißt das noch lang nicht, dass du so am effektivsten lernst.

Lerntyp vs. Lernstil

Du bist kein bestimmter Lerntyp, genauso wenig wie irgendjemand anders. Dennoch hast du natürlich einen bestimmten Lernstil, idealerweise einen, der dir in jeder Situation maximal dienlich ist. Der Lernstil unterscheidet sich vom Lerntyp insofern, als es sich um eine veränderbare Gewohnheit handelt, die du bewusst immer wieder deinen Bedürfnissen anpassen kannst. Ein Lerntyp wäre vorgegeben, wohingegen du an deinem Lernstil gezielt arbeiten kannst.

Dein Lernstil ist die Art, wie du bestimmte Dinge lernst. Bist du jemand, der die Anleitung liest und vielleicht sogar nochmal recherchiert? Oder probierst du Dinge einfach gern aus und findest anhand von Trial-and-Error deine Lösung? Probierst du dich am liebsten allein in deinem stillen Kämmerlein oder tauschst du dich gern mit anderen Leuten zu deinen Fragen und Herausforderungen aus? Lässt du dir gern von jemandem die Lösung erklären? Oder lieber aufzeichnen bzw. aufschreiben? All diese Verhaltensweisen beschreiben deinen Lernstil.

Lernen mit allen Sinnen

Information aufzunehmen bedeutet noch nicht, dass wir sie auch verstanden haben. Verstehen bedeutet noch nicht, dass wir uns diese Information auch merken. Und auch ausprobieren ist keinesfalls gleichzusetzen mit etwas können. Unabhängig von der Art des Wissens oder der Fertigkeiten, die wir lernen wollen, wird es selten mit einem einzigen Mal lesen oder hören oder ausprobieren erledigt sein. Alle Arten von neuen Informationen werden nur dann dauerhaft gespeichert, wenn wir uns mehrmals damit beschäftigen.

Mehrmals mit etwas beschäftigen tun wir am besten nicht immer auf diese gleiche Weise, sondern so, dass möglichst viele verschiedene Sinneskanäle beteiligt sind. Also besser, als mehrfach den gleichen Buchabschnitt zu lesen oder das gleiche Video zu sehen, ist es, wenn wir beispielsweise eine Zusammenfassung des Gesehenen schreiben, mit jemandem darüber sprechen oder sogar gleich ins Tun kommen, was sich bei praktischen Tätigkeiten besonders gut anbietet.

Lernen ist individuell

Häufig liest man Zahlenwerte, wie wahrscheinlich es ist, dass wir Informationen behalten, die wir nur über Hören oder Sehen oder über eine Kombination aus verschiedenen Sinneskanälen aufnehmen. Nur leider gibt es keinerlei Belege dafür, dass diese Zahlen eine allgemeine Gültigkeit besitzen. Nur die Kernaussage, dass wir mehrere Sinneskanäle nutzen sollten, um effektiv zu lernen, die lässt sich auch hier ablesen und ist natürlich richtig.

Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass es kein one-size-fits-all-Schema fürs Lernen gibt. Lernen ist eine höchst individuelle Sache, auch wenn es durchaus manche sinnvolle Regel gibt, die für viele Menschen gut funktioniert. Dazu gehören die bereits angesprochenen Wiederholungen und das Nutzen mehrere Sinneskanäle. Auch ausreichende Pausenzeiten sind für jeden Lernenden von Nutzen, ebenso wie eine ausgewogene Ernährung.

Lernkontext berücksichtigen

Abhängig vom Lernkontext sind jedoch unterschiedliche Lernstrategien angemessen. Kaum jemand würde wohl auf die Idee kommen, Schwimmen oder Fahrradfahren ausschließlich aus einem Buch lernen zu wollen. Viel häufiger wird man es wohl einfach ausprobieren oder sich wenigsten zügig nach einer theoretischen Erklärung oder Einweisung mit der Praxis beschäftigen. Die Grammatik eine Sprache oder das Grundlagenwissen zu unserem Steuerrecht wird man sich hingegen doch eher anlesen oder von jemandem erklären lassen.

Die meisten von uns passen ihren Lernstil also bereits automatisch an den Lernkontext an. Dennoch lohnt es sich, hier nochmals genauer hinzuschauen. Denn nicht immer führt der eigenen Lernstil zum besten Ergebnis. So bleibt der eine vielleicht viel zu lang an der Theorie hängen, während der anderer viel schneller richtige Ergebnisse erzielen könnte, wenn er sich denn nur mal etwas genauer mit den Grundlagen beschäftigen würde.

Lernumfeld gestalten

Was ebenso zum Lernstil gehört, ist das Lernumfeld. Lernen muss keinesfalls an einem Schreibtisch stattfinden, auch nicht das Lernen für Schule oder Studium. Schließlich ist Lernen so viel mehr als das Lesen von Büchern und Hefteinträgen. So kann man bei vielen Themen aktiv etwa tun, z.B. ein Poster oder eine Collage gestalten. Das funktioniert wunderbar auf dem Fußboden. Zu anderen Themen kann man sich Versuche ausdenken und diese machen. Oder man kann bestimmte Dinge in der Natur oder auch in einem Museum suchen und beobachten.

Wie bei den Sinneskanälen, sollten wir auch bei den Lernorten möglichst variieren. Diese Variation ermöglicht uns, das neue Wissen besser und vor allem fester mit bereits vorhandenem Wissen zu verknüpfen. Es fällt uns also leichter, Zusammenhänge zu erkennen und verstehen. Das neue Wissen bekommt somit einen festen Platz in unserem Gedächtnis und wird nicht mehr so leicht vergessen.

Wie lernt man besten?

Und wie können wir das nun wirklich umsetzen, verschiedene Sinneskanäle anzusprechen, bei den Methoden und den Orten zu variieren und möglichst allen Lernstoff mit bereits vorhandenem Wissen zu verknüpfen? Das hört sich zugegebenermaßen nach richtig viel Arbeit an. Das ist es aber glücklicherweise gar nicht. Denn das Wichtigste ist einfach erstmal anzufangen. Denn umso mehr Wissen und Kenntnisse vorhanden sind, umso einfacher wird es auch weiteres Wissen hinzuzufügen.

Unser Gedächtnis lässt sich nämlich ziemlich gut trainieren und hat zudem ein riesiges Speichervermögen. Neues Wissen ergänzt das vorhandene Wissen sehr häufig und ist von daher gar nicht völlig neu. Sehr oft gibt es auch bereits vorhandene Fertigkeiten auf die man sehr gut zurückgreifen kann, wenn man etwas Neues ausprobiert. Am besten lernt man also nicht, wenn man sich an irgendwelchen Lerntypen orientiert, sondern wenn man versucht die besten Strategien für einen selbst zu finden.

Leichter lernen mit kleinen Tricks

Lernen findet überall und immer statt, es muss also keinesfalls mühsam sein. Wenn es das wäre, hätten wir als Menschheit wohl kaum jemals unsere Bäume und Höhlen verlassen. Um aber selbst wieder eine Leichtigkeit beim Lernen zu entwickeln, dürfen wir all die Mythen übers Lernen, die es uns so schwer machen, gehen lassen. Dann dürfen wir uns unserer unglaublichen Kapazitäten bewusst werden – jenseits von Typenlehre und Schubladendenken.

Jeder von uns kann Wissen vermehren und Kenntnisse erlangen. Dabei ist keine Expertise wertvoller als eine anderer. Das heißt, die darfst lernen was du willst und wie du willst. Und wenn du die Aufstellung jeder einzelnen Mannschaft zur nächsten Fußball-Europameisterschaft auswendig wissen willst, dann soll es so sein. Die Speicherkapazität deines Gehirns wird dadurch nicht geringer. Eher fällt es dir sogar leichter, dann auch deine Französisch Vokabeln zu behalten.

Das Wichtigste ist: bleib neugierig und vertrau in dich und deine Fähigkeiten.

Photo von real444 von Getty Images Signature über Canva.com